Weltanschaulicher Hintergrund der Zen-Medita­tion[1]

Einige wichtige Punkte, durch welche die buddhi­stische Lehre von der christlichen und überhaupt von jeder ausgesprochen monotheistischen Religi­on abweicht.

Im Buddhismus ist nirgendwo die Rede von einem persönlichen Gott im christlichen Sinne.

Da kein persönlicher Gott angenommen wird, kann im Buddhismus auch von Schöpfung und Offenba­rung im eigentlichen Sinn nicht gesprochen wer­den. Ebenso kommt hier der christliche Begriff der Sünde als Übertretung des göttlichen Gesetzes nicht zur Anwendung. Ähnlich ist es mit uns ge­läufigen Bezeichnungen wie Übernatur und Gnade. Der Erleuchtungsweg ist im Zen-Buddhismus ist im christlichen Sinn der Weg zur Erlösung.

Während man Erlösung im Christentum als Ver­zeihung der Sünde und Erhebung in die Übernatur bezeichnen kann, trifft das für den Zen-Buddhis­mus nicht zu, da es dort weder einen Gott noch ei­ne Übernatur gibt. Dagegen ist Erlösung im bud­dhistischen Sinne Befreiung vom Leiden und Aus­löschung der Begierden, die die Ursache der Lei­den sind. Diese Auffassung ist in den vier erha­be­nen Wahrheiten Buddhas begründet:

  1. Das Leben besteht ganz und gar aus Leiden.
  2. Das Leiden hat Ursachen ( → nämlich das Ver­langen).
  3. Die Ursachen des Leidens können ausgelöscht werden.
  4. Es gibt einen Weg, das Leiden auszulöschen. Dieser Weg ist der achtfache Pfad, den Budd­ha gelehrt hat :

Rechtes Verstehen, rechtes Denken, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechtes Leben, rechtes Bemühen, rechtes Aufmerken, rechte Konzentration ( Me­ditation). Durch diesen Weg wird Befreiung er­langt aus der Kette der Wiedergeburten denen der Mensch durch das Gesetz der Kausalität unterwor­fen ist. Erst wenn er diese Kausalität überwindet, ist er für immer von allem Leiden befreit und voll­kommen glücklich:

Die Gier, durch die entflammt,
Den Haß, durch den ergrimmt,
Den Wahn, durch den betört,
Den Zorn, durch den erbost,
Die Heuchelei, durch die verderbt,
Den Dünkel, durch den berauscht
Die Wesen auf den schlimmen Weg gelangen,
Diese geben in vollkommener Erkenntnis
Die Einsichtsvollen auf.
Nach dem Aufgeben kehren sie nie wieder in die Welt zurück.
Auch dies ist vom Erhabenen gesagt worden, so habe ich gehört.[2]

Man darf sich aber die Kette der Wiedergeburten nicht als eine Seelenwanderung vorstellen, die darin besteht, dass ein und dieselbe Seele nach dem Tod des Menschen mit einem anderen Leibe wie­der geboren wird. Denn im Buddhismus gibt es keine individuelle und daher auch keine unsterbli­che Seele. Es gibt auch kein Ich und kein Selbst, weder im Sinne eines empirischen Ichs noch eines tieferen Selbst. Trotzdem spricht man von einem unsterblichen Leben. Ganz exakt ist freilich auch diese Ausdrucksweise nicht; denn in dem ganzen Prozess des Rades der Wiedergeburten gibt es, streng genommen, nur eine Kausalität, der kein Subjekt als Substrat unterliegt.

Nach der buddhistischen Philosophie ist die letzte Wirklichkeit nicht das Sein, sondern das So-Sein. In diesem Sinne gilt Die letzte Wirklichkeit ist ohne Wirklichkeit. Anders ausgedrückt, ist das So-Sein die Leere, in der jede Art irgendeines Zustan­des ausgeschlossen ist. Diese Leere ist die Grund­idee der buddhistischen Philosophie. Trotzdem ist sie nicht das absolut negative Nichts, sondern sie meint: leer -, frei sein von jeder Bedingung. Die Leere in diesem Sinn ist das Absolute, zu dem alles andere zurückgeführt werden muß. Dadurch wird es erlöst.

Wenn es nach buddhistischer Ansicht keinerlei Ich gibt, so ist die Vorstellung von einem Ich eine reine Illusion und zwar die schlimmste von allen Illusionen, die Begierden, die die Ursache des Leidens sind, kreisen alle um das vermeintliche Ich. Es gilt daher, vor allem von der Illusion des Ich frei zu werden. Bevor das nicht geschehen ist, kann von einer endgültigen Befreiung und Erlö­sung im buddhistischen Sinn keine Rede sein.

Zen vertritt im Gegensatz zu anderen Buddhisti­schen Strömungen eine meditative Intuition Er­lösung oder Befreiung geschieht aus eigener Kraft. Es genügt nicht, die erlösende absolute Wahrheit durch dialektisches Denken zu ermitteln oder auf Grund von Übertragung durch Worte an dieselbe zu glauben. Sie muss vielmehr durch, In­tuition oder eigene innere Erfahrung erfasst wer­den.

Zu dieser Intuition gelangt man durch das zazen oder die Zen-Meditation. Diese Intuition ist die Er­leuchtung satori oder die Wesensschau kens­ho. Es ist die erfahrungsmäßige Erkenntnis von der absoluten Einheit allen Seins, in der es weder ein für sich bestehendes Ich noch irgend ein Einzelding und daher auch keinerlei Gegensätze gibt. Man bezeichnet die Welt, die sich in der Er­leuchtung offenbart, als Welt der Gleichheit im Gegensatz zur Welt der Unterschiede. Die letztere ist die Welt, wie wir sie durch die Sinne wahrneh­men, durch differenziertes Denken erkennen oder in Begriffen darstellen. Diese Welt hat nach bud­dhistischer Lehre keine Wirklichkeit, sondern ist Illusion.

Hier stellt sich die Frage   Welche Beziehung besteht zwischen der einen absoluten Wirklichkeit und der Illusion der gegenwärtigen Welt? Die Antwort ist   In der sichtbaren Welt oder durch die sichtbare Welt wird die letzte und absolute Wirklichkeit transparent. Damit erhält die Illusion auf einmal eine überwältigend starke positive Note. Denn das Absolute wird in ihr greifbare Wirklich­keit. Das gilt in gleicher Weise von jedem Teil der sichtbaren Welt, und wenn es auch nur ein Tau­tropfen wäre. Das wird besonders anschaulich in den Lebewesen, da sie als solche ein zeitlich be­grenztes Dasein haben, vielleicht nur von wenigen Stunden. So versteht man, dass der Buddhist sich scheut, das Leben zu vernichten, wäre es auch das einer Mücke oder einer Blume, die heute blüht und morgen vom Winde zerrissen wird. Typisch für diese Auffassung sind die in der Darstellungsweise so kargen Zen-Bilder, etwa ein Grashalm, mit nur einem einzigen Pinselstrich dargestellt, auf weißem Grund: In diesem Grashalm wird die undarstellba­re absolute Leere sichtbar. Reduktion als Prinzip

[1]Enomiya-Lassalle, H. M., Zen-Meditation für Christen, O. W. Barth, 1995

[2], Itivuttaka 1-6, Seidensticker, Pali-Buddhismus, S. 150

 

 

 

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